Externalisierung: Eigene Probleme nach außen verlagern

Externalisierung bezeichnet in der Psychologie einen Prozess, bei dem eigene innere Vorgänge – wie Gedanken, Gefühle oder Konflikte – nach außen verlagert und dort verortet werden. Das bedeutet: Die Ursache für Erleben oder Verhalten wird nicht im Selbst, sondern in äußeren Umständen, Personen oder Umständen gesucht.

Der Begriff ist vielschichtig und kommt in unterschiedlichen psychologischen Kontexten vor – etwa in der klinischen Psychologie, der systemischen Therapie, der Psychoanalyse, der Entwicklungspsychologie und der Pädagogik. Externalisierung kann sowohl als kognitives Muster (Attributionsstil), als Abwehrmechanismus als auch als therapeutische Methode verstanden werden.

Unterschiedliche Bedeutungsdimensionen

1. Psychodynamischer Abwehrmechanismus

In der Psychoanalyse wird Externalisierung als unbewusster Abwehrmechanismus beschrieben: Unerwünschte oder angstbesetzte innere Impulse (z. B. Aggressionen, Schuldgefühle) werden anderen Menschen oder äußeren Gegebenheiten zugeschrieben. Beispiel: „Ich bin nicht wütend – du provozierst mich die ganze Zeit.“

2. Attributionstheorie (Sozialpsychologie)

In der Sozialpsychologie beschreibt Externalisierung einen externen Attributionsstil: Menschen erklären sich negative Ereignisse durch äußere Faktoren („Ich bin zu spät, weil die Bahn Verspätung hatte“) statt durch eigenes Verhalten („Ich bin zu spät, weil ich zu spät losgegangen bin“).

3. Entwicklungspsychologie

Kinder externalisieren häufig Probleme, da sie in bestimmten Entwicklungsphasen noch nicht zwischen sich und der Umwelt differenzieren können. Ein Kind, das wütend ist, sagt: „Der Stuhl ist schuld, dass ich hingefallen bin.“

4. Systemische Therapie (Methodischer Ansatz)

In der systemischen Therapie ist Externalisierung eine bewusste therapeutische Methode, bei der das Problem symbolisch „aus dem Selbst herausgeholt“ wird. Dadurch entsteht Distanz, und die Person kann sich lösungsorientierter und weniger identitätsbezogen damit auseinandersetzen.

Beispiel: Statt „Ich bin depressiv“ wird gesagt: „Die Depression ist wie eine Wolke, die sich zwischen mich und mein Leben schiebt.“
Ziel: Klient*in erlebt sich nicht mehr als das Problem, sondern im Umgang mit dem Problem.

Vorteile der therapeutischen Externalisierung

Die bewusste Externalisierung als Methode eröffnet neue Perspektiven im therapeutischen Gespräch:

  • Ressourcenorientierung: Das Problem wird als etwas Veränderbares betrachtet.
  • Stärkung des Selbstwerts: Menschen definieren sich nicht mehr über ihre Störung („Ich bin nicht das Problem, ich habe ein Problem“).
  • Förderung von Handlungsfähigkeit: Neue Strategien zur Einflussnahme werden sichtbar.
  • Reduktion von Scham und Selbstabwertung: Besonders hilfreich bei Sucht, Essstörungen, Depression, Angst.

Externalisierendes Verhalten in der Kinder- und Jugendpsychologie

In der Kinder- und Jugendpsychologie beschreibt man mit „externalisierendem Verhalten“ bestimmte nach außen gerichtete Verhaltensauffälligkeiten, die sich durch:

  • Aggression
  • Impulsivität
  • Wutanfälle
  • Regelverstöße
  • Provokation
  • geringe Frustrationstoleranz

äußern. Sie stehen im Gegensatz zu internalisierenden Symptomen wie Rückzug, Ängstlichkeit oder Traurigkeit.

Ursachen für externalisierendes Verhalten:
  • Entwicklungsbedingte Impulskontrollschwäche
  • Ungünstige Erziehungsstile (inkonsequent, feindselig)
  • Bindungsstörungen
  • Traumatische Erfahrungen
  • Frühkindliche Vernachlässigung
  • Neurobiologische Faktoren (z. B. ADHS, Regulationsstörungen)

Hier ist die Externalisierung nicht immer bewusst, sondern Ausdruck innerer Not und mangelnder Emotionsregulation.

Risiken der unbewussten Externalisierung

Wenn Externalisierung chronisch und unreflektiert geschieht, kann sie zu Problemen führen:

  • Vermeidung von Verantwortung: Fehlverhalten wird nicht hinterfragt („Alle anderen sind schuld“).
  • Dauerhafte Opferhaltung: Der Mensch erlebt sich als ausgeliefert.
  • Soziale Konflikte: Außenstehende fühlen sich angegriffen oder missverstanden.
  • Therapieresistenz: Veränderungen werden blockiert, da die Ursache immer im Außen gesucht wird.

In solchen Fällen ist es hilfreich, die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung (Introspektion) und zur Selbstverantwortung gezielt zu fördern.

Externalisierung in der Gruppentherapie und Supervision

In Gruppenprozessen kann Externalisierung auch interaktionell geschehen: Konflikte oder Spannungen werden nicht als Teil des Gruppengefüges, sondern als „Problem einzelner“ behandelt – was zur Vermeidung kollektiver Verantwortung führt.

In der Supervision wird Externalisierung genutzt, um innere Konflikte zu objektivieren und gemeinsam zu reflektieren – etwa durch Symbolarbeit, Aufstellungen oder metaphorische Sprache.

Methoden der Externalisierung (therapeutisch)

Beispiele aus der systemischen Praxis :
  • Das Problem benennen: „Wie nennt die Angst sich selbst?“
  • Metaphern finden: „Wenn der Druck ein Tier wäre – was für eines wäre er?“
  • Skulpturarbeit: Problem als externer Gegenstand darstellen
  • Narrative Umdeutung: „Wann taucht das Problem auf – und wann zieht es sich zurück?“
  • Visualisierung: Zeichnungen, Collagen oder Figuren zur Darstellung des Problems

Diese Methoden stärken die Selbstwirksamkeit, fördern kreative Lösungswege und entlasten das Selbstbild.

Kritik und Grenzen

Trotz ihrer Wirksamkeit ist Externalisierung nicht immer angezeigt:

  • Bei Menschen mit stark externalisierendem Attributionsstil kann die Methode Verantwortungsvermeidung fördern.
  • Bei bestimmten Persönlichkeitsstörungen (z. B. narzisstisch, dissozial) besteht die Gefahr, dass Externalisierung als Rechtfertigung für destruktives Verhalten dient.
  • In strukturell überforderten oder gefährdenden Kontexten (z. B. Gewalt in der Familie) kann Externalisierung systemische Probleme verharmlosen, wenn sie nicht eingebettet ist.

Daher ist es essenziell, Externalisierung zielgerichtet, verantwortungsvoll und reflektiert einzusetzen.

Fazit

Externalisierung ist ein vielschichtiges psychologisches Konzept mit unterschiedlichen Bedeutungen – als Abwehrmechanismus, Denkstil, Verhaltensform und therapeutische Methode. Sie kann sowohl hinderlich als auch heilsam wirken: Unreflektierte Externalisierung führt zu Vermeidung, während bewusst eingesetzte Externalisierung neue Perspektiven eröffnet, Selbstwirksamkeit stärkt und Veränderung ermöglicht. Besonders in der systemischen Therapie und in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist sie ein kraftvolles Werkzeug, um Probleme zu entlasten und Ressourcen zu aktivieren – vorausgesetzt, sie wird verantwortungsvoll eingesetzt.