Frustrationsstörung

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Frustrationsstörung: Wenn Misserfolge zu Wut & Rückzug führen.

Die Frustrationsstörung beschreibt ein psychologisches Muster, bei dem Menschen auf wiederholte oder anhaltende Frustration mit übersteigerten, unangemessenen oder dysfunktionalen Reaktionen reagieren. Obwohl der Begriff nicht als eigenständige Diagnose im ICD-10 oder DSM-5 geführt wird, kommt er in der psychologischen Fachsprache vor – insbesondere im Kontext von Verhaltensauffälligkeiten, Emotionsregulationsstörungen und Persönlichkeitsentwicklungen.

Im Kern steht die Unfähigkeit, mit Misserfolg, Zurückweisung, Nichterfüllung von Erwartungen oder Einschränkungen konstruktiv umzugehen. Stattdessen entstehen Wut, Rückzug, Vermeidung oder aggressive Handlungen, die in sozialen oder schulischen Kontexten zu Problemen führen können.

Was ist Frustration?

Frustration ist ein emotionaler Zustand, der entsteht, wenn ein gewünschtes Ziel nicht erreicht wird oder eine erwartete Belohnung ausbleibt. Frustration ist grundsätzlich ein normales, entwicklungsrelevantes Gefühl, das zur emotionalen Reifung beiträgt – vorausgesetzt, es kann reguliert und bewältigt werden.

Wenn dies jedoch nicht gelingt, spricht man im weiteren Sinne von einer Frustrationsstörung.

Typische Merkmale einer Frustrationsstörung

Die Reaktionen auf Frustration sind individuell verschieden. Bei einer Frustrationsstörung treten bestimmte Verhaltensweisen gehäuft und unangemessen stark auf:

Kernsymptome:

  • Geringe Frustrationstoleranz – bereits kleine Rückschläge führen zu Wutausbrüchen oder Verzweiflung
  • Impulsives, aggressives Verhalten bei Misserfolg
  • Schnelle Entmutigung oder Rückzug
  • Vermeidungsverhalten (z. B. Schulverweigerung, Verweigerung von Leistungssituationen)
  • Übersteigerte Reaktionen auf Kritik oder Ablehnung
  • Selbstabwertung („Ich kann das eh nicht“) oder Überkompensation („Dann mache ich eben gar nichts mehr“)

Diese Verhaltensmuster können dauerhaft bestehen bleiben, wenn die betroffene Person keine funktionalen Strategien erlernt, mit Frustration umzugehen.

Ursachen und Entstehungsbedingungen der Frustrationsstörung

Die Ursachen für eine Frustrationsstörung sind vielfältig und entstehen in der Regel durch ein Zusammenspiel aus individuellen, familiären und sozialen Faktoren.

1. Entwicklungspsychologische Aspekte

  • Fehlende emotionale Regulation in der Kindheit: Kinder, die keine Hilfe beim Umgang mit Enttäuschung erhalten, entwickeln keine belastbaren Bewältigungsstrategien.
  • Übermäßige Verwöhnung oder autoritäre Erziehung: Beides kann dazu führen, dass das Kind keine gesunde Frustrationstoleranz aufbaut.
  • Mangel an Erfolgserlebnissen: Wer regelmäßig scheitert, ohne gefördert zu werden, verinnerlicht Misserfolgserwartung.

2. Persönlichkeitsmerkmale

  • Hoher Neurotizismus
  • Impulsivität
  • Geringe emotionale Kontrolle
  • Perfektionismus
  • Schwarz-Weiß-Denken

3. Familiäre und soziale Einflüsse

  • Vernachlässigung, emotionale Kälte oder instabile Bindungen
  • Überfordernde Anforderungen oder inkonsistente Regeln
  • Soziale Ablehnung, Mobbing oder Ausgrenzung

4. Neurologische und psychische Begleiterkrankungen

  • ADHS, Autismus-Spektrum-Störungen, oppositionelle Störungen
  • Depression, Angststörungen, Störungen der Impulskontrolle
  • Traumatische Erfahrungen oder chronischer Stress

Frustrationsstörung bei Kindern und Jugendlichen

Besonders im Kindesalter ist das Erlernen eines angemessenen Umgangs mit Frustration entscheidend. Kinder mit Frustrationsstörung zeigen häufig:

  • Wutanfälle bei Misserfolgen
  • Schwierigkeiten im sozialen Spiel (z. B. Verlieren nicht akzeptieren)
  • Geringe Selbstregulation bei Aufgaben
  • Konzentrationsprobleme und Leistungsverweigerung
  • Rückzug oder Trotzverhalten
  • Probleme in der Schule und im familiären Umfeld

Folgen im Jugendalter:

Wenn keine Entwicklung funktionaler Strategien erfolgt, kann die Frustrationsstörung zu Verhaltensauffälligkeiten, sozialen Problemen und schulischem Scheitern führen.

Diagnostik

Da es sich nicht um eine eigenständige Diagnose handelt, wird eine Frustrationsstörung im Rahmen anderer Störungsbilder oder als Begleitsymptom erfasst.

Mögliche diagnostische Kategorien:
  • Störung des Sozialverhaltens (F91)
  • Emotionale Störung des Kindesalters (F93)
  • Impulskontrollstörung (F63)
  • ADHS (F90)
  • Oppositionelle Störung mit trotzigem Verhalten

Diagnostische Methoden:
  • Anamnesegespräch mit Eltern, Bezugspersonen oder Patient*innen
  • Verhaltensbeobachtung in Schule, Kita, Familie
  • Fragebögen zur Emotionsregulation (z. B. FEEL-KJ, ERQ)
  • Projektive Verfahren oder standardisierte Tests

Zentral ist die Abklärung der Funktion des Verhaltens: Dient es der Vermeidung, der Kontrolle, dem Protest oder dem Ausdruck emotionaler Not?

Therapeutische Ansätze

Ziel der Behandlung ist der Aufbau von Frustrationstoleranz und Emotionsregulation.

1. Verhaltenstherapie
  • Vermittlung funktionaler Bewältigungsstrategien
  • Rollenspiele zum Umgang mit Misserfolg
  • Verstärkerpläne für angemessenes Verhalten
  • Aufbau von Problemlösefähigkeiten und Impulskontrolle

2. Elternarbeit
  • Schulung zu konsequentem, wertschätzendem Umgang
  • Etablierung klarer Strukturen und Grenzen
  • Förderung emotionaler Spiegelung („Ich sehe, dass du enttäuscht bist – das ist okay“)
  • Gemeinsame Entwicklung konstruktiver Reaktionsmöglichkeiten

3. Emotionsfokussierte Methoden
  • Achtsamkeit und Körperwahrnehmung
  • Benennen und Einordnen von Gefühlen
  • Arbeit mit inneren Bildern, Geschichten oder Symbolen

4. Gruppenangebote (besonders bei Kindern)
  • Training sozialer Kompetenzen
  • Selbstbehauptung, Empathie, Konfliktlösung
  • Frustrationstoleranztraining in Spiel- und Lernsettings

Prävention und Förderung

Eine gesunde Frustrationstoleranz ist nicht angeboren, sondern erlernbar. Prävention beginnt früh:

  • Spielerischer Umgang mit Verlust, Rückschlag und Grenzen
  • Lob für Anstrengung, nicht nur für Ergebnis
  • Realistische Zielsetzungen vermitteln
  • Fehler als Lernchancen begreifen
  • Ermutigung zur Selbstwirksamkeit

Auch Schulen, Kitas und Eltern tragen durch klare Regeln, verlässliche Beziehungen und emotionale Begleitung zur Entwicklung emotionaler Resilienz bei.

Fazit

Die Frustrationsstörung beschreibt das wiederkehrende, übersteigerte oder unangemessene Reagieren auf Misserfolg, Zurückweisung oder Zielverfehlung. Sie kann in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter auftreten und sowohl Ausdruck einer mangelhaften Emotionsregulation als auch Begleitsymptom anderer Störungen sein. Frühzeitige Förderung, verhaltenstherapeutische Unterstützung und ein verständnisvoller, strukturierter Umgang mit Frustration helfen, die Fähigkeit zur inneren Stabilität zu entwickeln. Denn: Mit Frustration umgehen zu können, ist eine zentrale Kompetenz für psychisches Wohlbefinden und soziale Teilhabe.